„Weltfrauentag! Hier, eine Rose, weil du eine Frau bist!“ / „Weltfrauentag! Heute werden die Frauen mal so richtig VERWÖHNT.“ / „Herzlichen Glückwunsch zum Weltfrauentag.“ …
Nein, danke. Ich bin wütend. Ich nenne diesen Tag heute nicht „Weltfrauentag“, sondern Frauenkampftag. (Oder noch besser: „feministischen Kampftag“, um nicht-binäre Menschen und alle Menschen mit einzuschließen, die unter dem Patriarchat leiden.) Und ich gehe heute demonstrieren und – nein, danke, Blumen will ich auch keine. Ich will viel lieber meiner Wut Luft machen. Wir brauchen mehr Wut, denn sonst ändert sich nichts. Wut, in Kombination mit Hoffnung auf Veränderung, ändert den Status Quo.
Diesen Tag gibt es nicht, weil jemand gedacht hat “Hey, Frauen sind ganz nice, wir feiern die mal voll ab an diesem Tag. Hier, eine Rose.” Nein – diesen Tag gibt es, weil richtig viele Frauen es vor über 100 Jahren richtig richtig kacke fanden, dass sie aus obskuren Gründen NICHT wählen dürfen und für ihr Recht auf die Straße gegangen sind. Weil sie wütend waren. Und sich das Wahlrecht erkämpft haben, das ihnen und uns schon immer zugestanden hätte.
Das heißt ja, alles ist jetzt fein, oder? Alle Geschlechter sind vor dem Gesetz so bisschen gleich. Reicht doch. Oder? ODER?
Klar. Das würde reichen, wenn die Lebensrealität genauso aussähe wie auf dem Papier. Tut sie aber nicht. Wir sind noch nicht an dem Punkt, an dem es Zeit ist zu feiern.
Ich bin immer noch wütend. Und ich bin immer wieder aufs Neue müde, zu erklären, „Warum wir denn noch Feminismus bräuchten.“ Ist das nicht völlig offensichtlich?
Ich bin wütend, …
… solange Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger verdienen als Männer (Schlechter sieht es in Europa nur in Tschechien und Estland aus. Fun Fact: In Island ist das gesetzlich verboten.). Hier einige Fakten zu typischen Reaktionen à „ABER DER BEREINIGTE GAP, blabla, FRAUEN SELBER SCHULD, blabla.“Das geht übrigens schon beim Taschengeld los: Jungen bekommen durchschnittlich 20 Prozent mehr Taschengeld als gleichaltrige Mädchen. What?!
… solange es für Männer in heterosexuellen Partnerschaften ein Problem ist, wenn die Partnerin dann doch mal mehr verdient.
… solange Frauen im Schnitt täglich 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden als Männer.
… solange es gesetzlich nicht erlaubt ist, dass Schwangere Zugang zu transparenten Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen erhalten, Stichwort: Der Prozess um Paragraph 219a, den die Gynäkologin Kristina Hänel und einige ihrer Kolleg*innen immer noch ausfechten müssen.
… solange nur 15 Prozent aller Gründer*innen Frauen sind
… solange ein Typ als “Kanzler-Favorit” gehandelt wird, der 1997 dafür gestimmt hat, dass Vergewaltigung in der Ehe lieber nicht strafbar sein solle (Friedrich Merz. Horst Seehofer stimmte übrigens auch dafür.)
… solange Alltagssexismus von vielen Seiten als Bagatelle abgetan wird. „War doch nur ein Witz, haha“. Humor schafft aber Realität. (Hier ein sehr interessanter Vortrag dazu: Humor normalisiert Diskriminierung, darum geht es ab Minute 12, lohnt sich aber komplett zu schauen.)
… solange Feminismus ein bequemer, weißer Feminismus ist statt ein intersektionaler, der alle Menschen berücksichtigt, die unter dem Patriarchat leiden. Schauen wir überall hin, wo Frauen benachteiligt werden. Ein total empowerndes “Girlpower”-T-Shirt von einer Fast Fashion Kette ist kein feministischer Akt. Es ist vielmehr total zynisch, ein Kleidungsstück zu tragen, für das eine Frau einen Hungerlohn bekam, von dem sie sich weder Bildung, noch medizinische Versorgung für ihre Kinder leisten kann. Oder vielleicht ist sie selbst noch ein Kind.
… solange “Du Mädchen” als Beleidigung verwendet wird und alles feminin Anmutende für Männer negativ belegt ist. Toxische Masukulinität schadet allen Geschlechtern.
… solange ein Viertel der Menschen, die in einer Studie befragt wurden, der Meinung sind, es sei gerechtfertigt, wenn Männer ihre Partnerinnen schlagen.
… solange es überhaupt ein Thema ist, ob Frauen und nicht-binäre Menschen „mitgemeint“ sind, wenn von „Bürgern“, „Ärzten“ und „FeuerwehrMÄNNERN“ die Rede ist. Ich will nicht mitgemeint sein. Ich will gemeint sein. Sprache schafft Realität. Sprache macht sichtbar. Es ist wirklich nicht schwierig, von Ärzt*innen zu sprechen.
Was übrigens auch Realität schafft, sind Darstellungen in (Kinder-)Serien, Büchern usw. Wenn Kindern da eine Rollenverteilungen wie aus den 50ern gezeigt wird, dann gehen sie gar nicht davon aus, dass den Job einer Pilotin, eine Feuerwehrfrau und eine Chirurgin Frauen machen könnten. Beispiel: Im Englischen sind die Berufsbezeichnungen ja neutral. Bei den Aufgaben „Firefighter“, „Surgeon“ und „Fighter Pilot“ zu zeichnen, wurden 61 männlich gelesene und 5 weiblich gelesene Figuren gemalt. Zum sehr schönen Video.
… solange überhaupt gefragt wird, welches Outfit eine Frau getragen hat, als sie Opfer eines sexuellen Übergriffs wurde, das den Täter womöglich zu dieser Tat getrieben haben könnnte.
… solange jede vierte Frau in Deutschland in ihrem Leben mindestens einmal Opfer häuslicher Gewalt wird.
… solange es in Organisationen wie der Katholischen Kirche völlig selbstverständlich ist, dass Frauen gar keine relevanten Ämter bekleiden können.
… solange jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wird und es JEDEN Tag ein Mann versucht – und diese Morde an Frauen (Femizide) in den Medien gerne mit “Familiendrama” betitelt werden, statt als das, was sie sind: Morde an Frauen.
… solange ein Mann für eine Frau das größte Lebensrisiko ist – statistisch gesehen ist der gefährlichste Mensch für Frauen ihr Partner oder Ex-Partner – das Lebensrisiko für eine Frau ist in dem Fall höher, als an Krebs zu erkranken oder Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden.
… solange verinnerlichte Geschlechterklischees schon in der Erziehung zu unterschiedlichen Erwartungen und entsprechend einer unterschiedlichen Behandlung von Mädchen und Jungen führen, die den Grundstein für eine spätere Chancenungleichheit legen. Mädchen- und Jungen-Abteilungen, die in den allermeisten Geschäften in den Rosa-Blau-Codes gehalten sind und Mädchen-Bücher und -Spielzeuge voller Prinzessinnen sind und Jungen-Bücher voller tatsächlicher Berufe wie Leute bei der Feuerwehr, Polizei und Astronauten – nein, nicht Astronaut*innen leider. Hier ein perfektes, ganz furchtbares Beispiel von Playmobil. (Werbung sehr unbeauftragt) Über dieses Thema könnte ich mich auch stundenlang auslassen. Wirklich.
Guckt euch dieses super Experiment an, bei dem sehr junge Kinder klischeehaft „mädchen-“ und „jungenmäßig“ angezogen wurden (aber vertauscht) und die Leute, die mit den Kindern spielen sollten, das Spielzeug immer passend zum Klamotten-„Code“ ausgewählt haben. Zum Video.
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Und das sind nur die Dinge, die mir so spontan eingefallen sind. Ich könnte eine Hauswand mit weiteren Fakten bedrucken. Aber ich denke, eines wird ganz gut klar:
Das Patriarchat, in dem wir leben, schadet uns allen. Es schadet Frauen, nicht-binären Menschen und – ja – es schadet auch Männern. Nicht auf den ersten Blick, weil Privilegien ja erst mal ganz geil sind, aber auf den zweiten.
Toxische Maskulinität schadet den Jungen und Männern, denen von klein auf beigebracht wird, dass die einzigen Emotionen, die sie an den Tag legen dürfen, Wut, Härte und Aggression sind.
Wenn ihnen beigebracht wird, dass alles Feminine schlecht ist. Und sie sich nicht trauen, ihre Puppen mit in den Kindergarten zu bringen, denn Puppen sind ja nicht maskulin. (Jungen spielen mit Puppen? Furchtbar, aus ihnen könnte ja mal ein fürsorglicher Vater werden (wenn sie das möchten.)). Oder das rosa Fahrrad der Schwester zu benutzen (denn es ist schon sehr praktisch, wenn alle Familien alles mehrfach kaufen müssen, denn Jungen und Mädchen haben ja unterschiedliche Farbcodes, gell.)
Wenn ihnen beigebracht wird, dass sie bestimmte Farben nicht mögen dürfen, denn das wäre – GOTT BEWAHRE – feminin konnotiert und wir wissen ja: Feminin ist schwach, das darf man als Mann lieber nicht, um von DEN JUNGS ernst genommen zu werden. Alles Feminine ist weniger wert – das brennt sich nach und nach ein.
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Auch hier: Ich könnte endlos so weitermachen. In dem Moment, in dem Handlungen nicht mehr von Rollenerwartungen an das eigene Geschlecht geprägt werden, entsteht Wahlfreiheit. Wahlfreiheit ist doch eine super Sache!
Ich weiß, dass Menschen Schubladen brauchen – mit ein paar schönen Schubladen, in die man Menschen stecken kann, hat der Tag Struktur. Erwartungen, die auf dem Geschlecht basieren, sind so einengend. Und sie schaffen die Basis für all diese furchtbaren Ungleichheiten.
Also: Es ist eine komplette Luftnummer, am Weltfrauentag ein paar Frauen Blumen zu schenken oder Frauen an diesem Tag so RICHTIG zu verwöhnen oder „Girlpower“ zu rufen, wenn man dabei nicht immer wieder auf all die Missstände aufmerksam macht, die eine Welt schaffen, die so viele Ungerechtigkeiten für Frauen und nicht-binäre Menschen bereithält.
Ich will nicht “mitgemeint” sein. Ich will gemeint sein. Ich bin wütend und ich fordere alles ein, was mir zusteht. Deshalb gehe ich heute demonstrieren.
Supportet andere Frauen und nicht-binäre Menschen und bleibt wütend. Macht auf all die Ungerechtigkeiten aufmerksam. Sonst ändert sich nichts!
Wenn wir das alles geschafft haben und all das, was ich da aufgelistet habe, kein Thema mehr ist, dann schenkt mir von mir aus Blumen.
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Und wenn ihr noch eine Film-Empfehlung für heute braucht: Guckt „On the Basis of Sex“ (dt. „Die Berufung) – da geht es um das Leben der großartigen Supreme Court Richterin Ruth Bader Ginsburg, die eine feministische Vorreiterin und Ikone ist.
Okay, und jetzt noch einen schönen Frauenkampftag.
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Sidenote: Wenn ich „Frauen“ schreibe, dann sind damit selbstverständlich alle Frauen gemeint, trans Frauen und Cis-Frauen – denn trans Frauen sind Frauen, Punkt. Daher kein „Frauen*“, sondern „Frauen“.
Ich bin Lisa – und ich kann nie still sitzen. Auf mein feenstaub blogge ich seit 2013 über meine Leidenschaften: Das sind tolle DIY-Ideen, schickes Design und ganz besondere Illustrationen. Hauptsache selbstgemacht! Mehr über mich.
Evy says
Dann nennen wir es doch „Geschlechter-Kampftag“ – denn oft werden Männer von Frauen und sogar in manch feministischen Buch verallgemeinert und nur als Gruppe wahrgenommen. Männer leiden unter dem Klischee der Männlichkeit. Und eine Autorin erklärt sogar, dass Frauen angegriffen werden, wenn sie über sich reden – während Männer das überhaupt nicht ansprechen. Trotzdem erwähnen auch „Frauen“ selten, dass Männer Gefühle haben.
Ich habe bei mir und in meinem Umfeld gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, aus dem sprachlichen Sexismus heraus zu kommen – sei es die „Männergrippe“ oder „Mein Mann ….“ – und dass sich viele scheuen, das Thema zu betrachten, weil es zu kompliziert scheint. Manchmal finde ich es schwer abzuwägen, ob das Geschlecht gerade relevant ist, wenn ich etwas erzähle.
Julia says
Nein, wir nennen es nicht Geschlechterkampftag, weil es mal (an einem Tag im Jahr) nicht um Männer geht, auch nicht „auch um Männer“. Es geht um strukturell benachteiligte Geschlechter, und das sind Frauen und nicht-binäre Personen. Es geht um Menschen, denen qua Geschlecht ein Stück Wohlstand, Wahlfreiheit, Sicherheit und sogar Unversehrtheit und Leben genommen wird.
Dass nicht alle Männer mächtig(er als alle Frauen) sind, zeigt, wie wichtig eine intersektionale Perspektive ist und wie doof Verallgemeinerungen sind. Aber an diesem Tag geht es darum, dass Männer im Allgemeinen mehr Macht haben als Frauen (und nicht-binäre Personen) im Allgemeinen.
EIN Tag, an dem sich Frauen nicht um die Gefühle von Männern scheren müssen. Ist das zu viel verlangt?
Yoojin says
Liebe Lisa,
vielen Dank für den tollen Beitrag! Ich mag jetzt gar nicht so viel zu den anderen inhaltlichen Punkten schreiben, aber als Mama von 3 Mädchen muss ich doch ein paar Worte zum Thema Kinder behandeln schreiben. Ich versuche schon immer den Mädels die Freiheit zu lassen, das zu machen, was sie wollen. Ihnen keine Puppen aufzudrängen oder ihr Zimmer rosa einzurichten. Überraschung, die Lieblingsfarbe der Großen (5) ist gelb, rot und dunkelblau, sie wollte zum 4. einen Weltraumgeburtstag feiern und zum 5. einen Blumengeburtstag (neben all den Elsa-Anna/Prinzessinnen/Einhorn-Geburtstagen wirklich eine riesige Ausnahme). Sie spielt selten mit Puppen, liebt aber Kleider, wollte zu Fasching eine Fee werden, mag trotzdem Dinos und Feuerwehr (Feuerwehrmann Sam!, da findet sie Penny ganz toll). Ja, das geht. Aber richtig schlimm finde ich das Umfeld. Angefangen von einer netten Dame, die ihr mit 3 Jahren ungefragt (!) im Buchladen ein Feenbuch aufschwatzen wollte „Das ist doch bestimmt etwas für dich“ (sie hat sich übrigens letztendlich für ein Buch zum Thema Rettungssanitäter entschieden), bis „Das ist bestimmt ein Junge, er trägt doch eine grüne Jacke und eine braune Hose!“. Gott, könnte ich mich da auskotzen. Es ist frustrierend und ich bin mir sicher, viel hängt daran, wie man mit den Kindern umgeht. „Jungs haben ja immer Löcher in den Hosen, weil sie so viel toben. Nicht so wie Mädchen.“ „Mädchen sitzen halt gerne in der Ecke und malen und sind ruhig.“ usw. Im übrigen genauso umgekehrt „Mein Sohn wollte dann tatsächlich eine Puppe zum Geburtstag haben, das hab ich ihm erstmal ausgeredet“ „Also ich finde Lauflernwagen ja schon irgendwie weiblich….auch wenn er blau ist. Wir überspringen das mal.“ und Jungs die heimlich und nur an den Zehen Nagellack ausprobieren, weil sie sonst ja gehänselt werden. Ja, das hab ich alles so gesagt bekommen. Die Liste ist leider lang….
Die von dir verlinkten Videos öffnen einem wirklich die Augen, dass man selbst sein Verhalten öfter mal hinterfragt, ich denke auch, dass vieles ganz automatisch geschieht. Finde ich toll, danke dafür! Ich kenn das übrigens gut, ich hab Informatik in Koblenz studiert und im Studium war eines der ersten Sätze immer „Du studierst doch bestimmt Grundschulpädagogik“….ahhh. Am schlimmsten sind aber echt diese „Mädchen-/Jungs-Produkte“!! Wer zum Teufel braucht rosafarbene Ü-Eier (kaufen wir eh nie…trotzdem!!!). Immer dieses ganze Rosa und diese Stereotypisierung…so schlimm. Am schlimmsten find ich auch Märchen. Armes Mädchen wartet darauf vom Prinzen gerettet zu werden. Unsere Große liebt Märchen leider sooo und letztens hab ich mich ewig vor ihr über diese ganzen Rollen darin ausgekotzt. Sie hat mich mit großen Augen angeguckt und meinte irgendwann „Das Märchen hier magst du bestimmt, da heiratet am Ende niemand.“ 😉
Naja, wie dem auch sei. Sorry, aber das musste jetzt einfach sein…;)
Vielen lieben Dank für den tollen Beitrag! Yoojin (@paperpilea)